Sequenzielle Übungen: Baukastenlyrik Selbermachenlassen?
Große Sprachmodelle erzeugen nach Hannes Bajohr konnektionistische Texte, generieren also sprachlich stringente, zumeist sinnerzeugende Texte. Übungen dazu findest du bei Konnektionistische Übungen: Digitales Co-Writing? [https://ai-labkit.de/schreiben/?post=konnektionistische-%C3%9Cbungen-digitales-co-writing] Andere Programme funktionieren sequenziell, ordnen also vorhandenes Textmaterial neu an, ohne selbst zusätzlichen Text zu generieren.
Drei Programme, die du außerdem zum sequenziellen Schreiben nutzen kannst:
- Mit dem AUTOMATENGEDICHTAUTOMAT von Hannes Bajohr lässt sich dein Textinput neu anordnen, durchmischen, kürzen oder um zusätzliche Satzzeichen ergänzen. Du kannst gewisse Wortgruppen oder „die 1000 häufigsten deutschen Wörter” entfernen [1].
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Die plauder.app von Gregor Weichbrodt: hier kannst du dir eine gegebene Satzstruktur in vielen verschiedenen inhaltlichen Variationen ohne viel Aufwand anzeigen lassen. Ein Beispiel: links im „Start”-Fenster gibst du den Satz ein, den du variieren möchtest, etwa Wer #x für Lyrik hält, der hält auch #y für #z. Bei #x, #y und #z sollte das kleine Popup Create new erscheinen. Wenn du dann auf das farbig unterlegte x, y oder z klickst, kannst du im rechts geöffneten Fenster für empty rule deine Wortbeispiele eingeben, also Kafka, Packungsbeilagen, KI-Texte und Lautmalerei für x, Joghurt, Bahnfahren, Lungenkrebs und Korruption für y und Hautcreme, Sport, Liebe und eine gute Idee für z [2].
Du kannst auch längere Satzteile variieren oder Sätze wählen, die je nach Kombination stimmige Aphorismen, Widersprüche oder Unsinn produzieren. Der Anteil eigener Inputs ist hier tendenziell höher als bei Übungen, die wesentlich mit LLM-Outputs arbeiten.
- Die Seite Botnik lässt dich mit dem predictive writer eigenständig Texte aus vorhandenem Sprachmaterial generieren, etwa aus den Harry Potter-Büchern, Leonard Cohens Songtexten oder Zitaten von Jeff Bezos. Die Seite wird von einer Gruppe Comedy-Autor:innen gehostet [3].
Als beispielhaft für solche Ansätze kann die internationale Künstler:innengruppe OULIPO gelten. OULIPO kommt aus dem Surrealismus und arbeitet mit Regeln und mathematischen Vorgaben. Die Variation einzelner Wörter innerhalb einer festen Satzstruktur wäre ein einfaches Beispiel für eine solche Regel. Ein praktisches Beispiel für solche sogenannte potentielle Literatur ist die Sonettsammlung „Hunderttausend Milliarden Gedichte” von Raymond Queneau, eine Art analoger Algorithmus [4]. Das Konzept beruht auf dem Prinzip mathematischer Permutationen. Oskar Pastior veröffentlichte bspw. Sestinensammlungen und andere regelbasierte Gedichte.
Denkbar wäre, ein Sprachmodell entweder nach Ideen für solche Strukturgedichte zu fragen oder es zu bitten, eigene Regeln umzusetzen. Ein prompt könnte etwa lauten:
Schreib mir ein Gedicht, für das die folgenden Regeln gelten: kein Wort darf mehr als einen Vokal haben, bis auf die jeweils letzten Wörter einer Zeile, die möglichst viele Vokale haben sollen. Jede Zeile soll aus Alliterationen bestehen. Die erste Zeile lautet: hart hund hort huhn herzt henkelunternehmensaktie. Die zweite Zeile lautet: müll mensch mast mord mist misst mangelexemplarerscheinung.
Eine andere Möglichkeit:
Setze die folgenden Regeln für ein Gedicht um, das vier mal vier Verse hat: pro Vers muss das Wort Reifen, Reif, Raupe und Randerscheinung einmal vorkommen. Es dürfen nicht zwei oder mehr dieser Wörter in der selben Zeile auftauchen und die Reihenfolge muss jedesmal unterschiedlich sein. Die erste Zeile lautet: „Spring doch, spring, kriech oder spring durch den Reifen, ach bitte”.
Im zweiten Beispiel wären theoretisch 10.000 Kombinationen der vier gegebenen Wörter möglich. Die Rechenleistung für die Erstellung aller dieser Gedichte ist schwer vorstellbar.
Noch ein möglicher Input:
Ich will ein Gedicht schreiben, das nach den folgenden Regeln funktioniert: jede Zeile soll der Zeile davor in einem Detail widersprechen. Das kann eine klangliche oder inhaltliche Abweichung sein. Der Inhalt kann dadurch sinnvoll oder sinnlos sein. Als letzte Zeile soll eine sinnvolle Aussage stehen, die der Ausgangszeile widerspricht. Der Weg soll über das Gedicht hinweg nachvollziehbar sein und in beide Richtungen funktionieren. Die Ausgangszeile lautet: „Am trockenen Ufer des Flusses liegen die siebzehn Tische und Stühle aus Hartplastik (weiß) kopfüber geworfen im Sand. Und jemand: wie schön!”
Eine letzte, einfache Grundstruktur:
Schreib mir die ersten zwanzig Zeilen eines Gedichtes mit dem Titel „alle und ich” nach dem Muster „alle reden über x, aber ich will über y reden”. Setze für x und y zufällige Fachbegriffe aus verschiedenen Disziplinen.
Hinweis: Programme wie Eloquentron3000 von Fabian Navarro, die Gedichtegrube von Lukas Distel und der poemgenerator erzeugen niedrigschwellig Gedichte mit oder ohne eigenen Input. Auch diese Ergebnisse beruhen auf einer vorgegebenen Struktur, die in unterschiedlicher Komplexität erfüllt wird. Die Seiten können als erste Inspiration dienen, sind aber – im Gegensatz zu den obigen Beispielen – nicht frei verwendbar, ohne die Urheber:innenschaft für die Programme zu markieren.
Einzelnachweise
1 https://www.hannesbajohr.de/automatengedichtautomat/ (01.06.2024)
2 https://plauder.app (01.06.2024)
3 https://lyrikzeitung.com/2009/12/07/47-hunderttausend-milliarden-gedichte/ (01.06.2024)
4 https://botnik.org (01.06.2024)
Autor:innen
Text: Jonas Galm
Lektorat: Jenifer Becker
Zitation: Jonas Galm: Titel Übung. In: AI-Labkit https://ai-labkit.de/schreiben/?post=sequenzielle-%C3%9Cbungen-baukastenlyrik-selbermachenlassen