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Hier findest du Einführungsmaterial zum literarischen Schreiben mit KI. Die Artikel geben einen theoretischen Überblick über verschiedene Themenfelder und führen an Fragestellungen und Kontexte heran.

Wie wird KI eingesetzt, um Lyrik zu schreiben?

Der typische Schreibprozess zur Erstellung von Lyrik mit KI lässt sich vorläufig anhand der folgenden zwei möglichen Verfahren darstellen. Beide sind im Abschnitt Schreiben / Schreibübungen Lyrik noch einmal mit Beispielen aufgeführt. Von Programmen, die selbst lyrische Texte erzeugen, wollen wir an dieser Stelle zunächst absehen.

Unterscheiden wir zunächst mit Hannes Bajohr zwischen „sequenziellen und konnektionistischen Paradigmen” [1]: sequenziell meint hier die algorithmische Abfolge von im Voraus festgelegten Regelschritten (vgl. auch hier die Künstler:innen der OULIPO-Gruppe), konnektionistisch das aktuell möglicherweise geläufigere oder naheliegendere Vorgehen, mithilfe von Künstlichen Neuronalen Netzwerken Text zu erzeugen. Beide Ansätze erfordern eine eigene Eingabe (entweder Textmasse, die verändert oder neu angeordnet wird oder ein mehr oder minder spezifischer Prompt, in dem das konzeptuelle Vorgehen oder bloß der Wunsch nach einem künstlich erzeugten Gedicht formuliert ist).

Einige Beispiele, in denen sequenziell und teilweise konzeptionell gearbeitet wurde:

  • Ranjit Bhatnagar hat den Bot „Pentametron” programmiert und lässt ihn Twitter nach Posts durchsuchen, die in ein sechshebiges daktylisches Versmaß passen – und daraus Sonette erzeugen, die vom gleichnamigen Projektaccount auf twitter durch reposts veröffentlicht werden [2].

  • Caitlin Quintero Weaver hat ein Gedicht, das sie als Reaktion auf ein Gemälde verfasst hat, mit einem Python-Skript kombiniert. Das Programm nimmt einzelne Wörter aus dem Gedicht, die es willkürlich und unterschiedlich oft wiederholt. Das Ergebnis ist ein längeres, monologisches Gedicht [3].

  • „ANADIPLOSES” von Hannes Bajohr. Aus dem Beschreibungstext, übersetzt aus dem Englischen mit dem Übersetzungsprogramm des Browsers Microsoft Edge: „Eine Anadiplose ist die Wiederholung des letzten Wortes einer Gedichtzeile als erstes Wort der nächsten. Für diese Arbeit habe ich mehrere Gedichte – darunter Whitmans „Song of Myself”, Keats' „Endymion”, Ashberys Flow Chart” und Shakespeares Sonette – durch ein Python-Skript laufen lassen, das versucht, die längste Kette von Anadiplosen zu finden, die aus den Quelltexten aufgebaut werden kann. Nicht alle Quellen in meinem Korpus landeten im endgültigen Gedicht. Dies ist ein Work in Progress, da ich versuche, längere Anadiploseketten in mehr Texten zu finden.” [4]
  • „I Don’t Know” von Gregor Weichbrodt. Ein Algorithmus, den Weichbrodt selbst entworfen hat, durchsucht die Online-Enzyklopädie Wikipedia nach zufälligen Artikeln und generiert einen knapp 350 Seiten langen Text, der allein aus den aneinandergereihten Behauptungen besteht, von all diesen Themen keine Ahnung, keinen Schimmer, keinen Plan zu haben. Das Projekt ist nicht dazu gedacht, von vorn bis hinten gelesen zu werden, sondern funktioniert über die Grundidee, das – so Weichbrodt – selten gewordene Eingeständnis eines geradezu universellen Nicht-Wissens darzustellen [5].

Gregor Weichbrodt und Hannes Bajohr bilden zusammen das Kollektiv 0x0a und veröffentlichen regelmäßig theoretische und künstlerische Arbeiten zum Umgang mit Digitaler Literatur und Schreiben mit KI [6].

Die aufgeführten Beispiele sind dem Sammelband Code und Konzept entnommen, der 2016 beim Frohmann Verlag erschienen ist und von Hannes Bajohr herausgegeben wurde [7].

Es existieren auch konnektionistische lyrische Textprojekte – das erscheint zunächst naheliegender. Bislang wurde dieser Ansatz insgesamt trotzdem seltener umgesetzt (oder publiziert) als oben beschriebene sequenzielle, konzeptuelle Ansätze.

Die Wiener Werbeagentur Tunnel23 hat 2018 ein künstlich erzeugtes Gedicht im renommierten Sammelband für lyrische Texte „Frankfurter Bibliothek“ der Brentano-Gesellschaft untergebracht:

Auf der Flucht gezimmert in einer Sommernacht.
Schleier auf dem Mahle. Säumung Nahrung, dieses Leben.

Die Stille der Bettler umfängt mich in einer schmausenden Welt.
Der junge Vogel ist ein Geschoß, vom Sturmwild getragen, im Leben betrogen.

Seelenvolle Tänze und heiligen Lippen der Schande.
Flammen auf dem Flur, Licht in den Kehlen.

Das Böse bestet sich auf der Wiese, die Götter rennen.
Glocken hallen, Donner schwingen. [8]

Die Jury wusste bei der Aufnahme des Gedichts in die Anthologie nicht, dass es künstlich erzeugt worden war, beließ es aber bei der publizistischen Markierung des Gedichtes als zeitgenössisches „Zeugnis der lyrischen Gesamtkultur” [9].

Als einer der ersten künstlich erzeugten und publizierten Texte überhaupt gilt The Policeman’s Beard Is Half Constructed, das 1984 in den USA erschien. Der Text ist teilweise menschlich kuratiert. Das zugrunde liegende Programm RACTER wurde von William Chamberlain und Thomas Etter entwickelt und entwickelt in freier Assoziation grammatikalisch richtige Texte, denen man wieder eine gewisse Schöpfungshöhe zugestehen kann:

More than iron, more than lead, more than gold
I need electricity.
I need it more than I need lamb or pork or lettuce or cucumber.
I need it for my dreams.

An anderer Stelle das bündige Fazit eines philosophischen Exkurses zum Thema Steak, Salat, Computer und menschliche Liebe:

Love is interesting to me and fascinating to you but it is painful to Bill and Diane. [10]

Teilweise ähnliche Ergebnisse enthält das als Theatertext entstandene Projekt AI: When A Robot Writes A Play, das mit dem Dialog zwischen einem Roboter und seinem sterbenden Schöpfer beginnt. Das Projekt versteht sich auch als Hommage an Karel Čapek, einen tschechischen Künstler und Autoren, der als Erfinder des internationalen Wortes Roboter gilt [11].

Nachdem Master und Robot im Stück unisono feststellen:

I’m afraid of what I’ve been doing here

und sich kurz darauf jeweils selbst als bad boy bezeichnen, i‘ve been a bad boy, bietet der Roboter an, seinen Meister zu Tode (oder stattdessen zurück ins Leben) zu umarmen – I love you so much I want to hug you to death. […] OK, I‘ll hug you to death. […] OK, I‘ll hug you to life. Nach einer letzten stürmischen Liebeserklärung verabschieden sich Roboter und Meister nüchtern mit den diesmal direkt aus dem tschechischen übersetzten Worten: Rob: Ich werde zurückkommen. – Mas: Ich hoffe doch. – Rob: Auf Wiedersehen. – Mas: Leb wohl. – Rob: Leb wohl, Masseuse, leb wohl. [12]

Hinter dem Projekt steht eine Kollaboration von Forschenden und Kunstschaffenden, die dafür einen eigenen Bot programmiert haben, der frei einsehbar und nutzbar ist [13]. Für den Bot wurden GPT-2 und für die Übersetzung das System CUBBIT verwendet. Auch wenn das Projekt nicht per se lyrisch ist, kann es gerade für Lyriker:innen interessant sein: die Dialoge entstammen einer Alltagssprache, die in mehrfachem Sinne nicht ganz unsere ist. Tschechische Regiolekte, Sci-Fi-Traditionen und die relative Unzuverlässigkeit der KI prägen den Ton. Die erzeugten Abweichungen erzeugen Irritationen, die für sich stehen, in Dialog treten oder mit lyrischen Mitteln sprachlich weiter untersucht werden können. Das Projekt hebt sich von ähnlichen Anläufen dadurch ab, dass es bewusst von verschiedenen Disziplinen (Theaterkunst, akademische Forschung, Informationstechnik) aus entworfen, umgesetzt und begleitet wurde. Es kann als beispielgebend für einen offensiv transparenten, forschenden und unterhaltsamen künstlerischen Umgang mit jüngerer KI gelten.

Einzelnachweise
1 vgl. Hannes Bajohr: Artifizielle und postartifizielle Texte. In: Sprache im technischen Zeitalter 61 (2023). S. 37-61.
2 Ranjit Bhatnagar: Pentametron. 2012. https://collection.eliterature.org/3/works/pentametron/pentametron.html# (31.05.2024). 
3 Caitlin Quintero Weaver u. Hannes Bajohr: Susan Scratched (2016).  https://archive.org/details/code-und-konzept/page/224/mode/2up (31.05.2024).
4 Hannes Bajohr: Anadiploses. 2016. https://partisanhotel.co.uk/Hannes-Bajohr (31.05.2024).
5 Gregor Weichbrodt: I Don’t Know (2014).
https://gregorweichbrodt.de/uploads/I_Dont_Know.pdf (31.05.2024).
6 0x0a (Hannes Bajohr u. Gregor Weichbrodt): These.
https://0x0a.li/de/these/ (01.06.2024).
7 Hannes Bajohr (Hg.): Code und Konzept. Literatur und das Digitale. Frohmann Verlag: Berlin 2016.
8 Tunnel23: Sonnenblicke auf der Flucht. (2018).
https://www.tunnel23.com/cases/ein-gedicht-aus-der-feder-einer-ki/ (01.06.2024).
9 Ausschreibung zum Wettbewerb „Frankfurter Bibliothek”
https://www.brentano-gesellschaft.de/frankfurter%20Bibliothek.php (01.06.2024).
10 The Policeman’s Beard Is Half Constructed. Computer prose and poetry by Racter. New York City: Warner Books 1984.
https://www.historyofinformation.com/detail.php?entryid=3806 (01.06.2024).
11 theaitre.com: Can a robot write a theatre play?
https://www.theaitre.com (01.06.2024).
12 THEaiTRobot 1.0, David Košťák, Daniel Hrbek, Rudolf Rosa, Ondřej Dušek: AI: When A Robot Writes A Play. Prag 2021. S. 4ff.
https://ufal.mff.cuni.cz/techrep/tr67.pdf (01.06.2024).
13 THEaiTRobot Demo
https://theaitre.com/demo (01.06.2024).

Autor:innen
Text: Jonas Galm
Lektorat: Jenifer Becker
Zitation: Jonas Galm: Wie wird KI eingesetzt, um Lyrik zu schreiben? In: AI-Labkit. https://ai-labkit.de/lernen/?post=wie-wird-ki-eingesetzt-um-lyrik-zu-schreiben

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