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Hier findest du Einführungsmaterial zum literarischen Schreiben mit KI. Die Artikel geben einen theoretischen Überblick über verschiedene Themenfelder und führen an Fragestellungen und Kontexte heran.

Vor- und Nachteile KI-gestützter Programme

Ob die Entwicklung von Neural Machine Translation (NMT) bei Literaturübersetzung tatsächlich unterstützen kann, ist derzeit umstritten. Wissenschaftliche und literarische Übersetzer:innen der D-A-CH-Region kritisierten in einem offenen Brief im Februar 2024 zur KI-Verordnung der EU den Einsatz von KI zur Übersetzung. Besonders betont wurde darin, dass die Priorisierung von „Produktionssteigerung” auf Kosten von Qualität, Kreativität und angemessenen Arbeitsbedingungen erfolge. Da eine KI keine Flüchtigkeitsfehler mache, sei dessen Qualität zwar weniger Fluktuation ausgesetzt. Die Qualität der Übersetzungen betreffend, habe NMT bei literarischen Übersetzungen jedoch Probleme mit seltenen Wörtern, Eigennamen und komplizierter technischer Sprache, wie auch Alana Cullen vom Goethe-Institut UK unterstreicht [1]. Nur 25-30 Prozent der NMT-Übersetzungen erreichten den literarischen Standard.

In einer Studie (Übersetzung von Deutsch – Englisch) [2] konnte zudem herausgefunden werden, dass das untersuchte NMT-System zwar weniger fehleranfällig in der Syntaxbildung ist als Humanübersetzer:innen, dafür aber oft keine adäquate Übersetzung für mehrdeutige Wörter fand. Mehrdeutige Wörter adäquat zu übersetzen ist schwer umsetzbar für KI, weil Übersetzungscomputer keinerlei Textverständnis haben, das über die formale Erkennung und Produktion natürlicher Sprache hinausgingen: Da sie weder über ein Bewusstsein, noch über sog. Weltwissen verfügen, fehlen ihnen Fähigkeiten in der Sprachinterpretation [3].

Bei einer lexikalischen, strukturellen oder sinnhaftlichen Mehrdeutigkeit innerhalb eines literarischen Werkes, welche mehrere Möglichkeiten der Übersetzung aufmachen könnte, geht bei der Verwendung von NMT auch die Varianz von literarischen Interpretationen von menschlichen Übersetzer:innen verloren: NMT zielen auf eine bestimmte Form von akzeptabler Genauigkeit auf Basis eines gemeinsamen, immer noch  statistischen Modells ab, und dies führt zu einer Angleichung an eine für das System korrekt erscheinende, wahrscheinlichste Lösung. Dies führt auch zu Biases im Übersetzen, insbesondere was Genderbinarität und andere kulturelle Besonderheiten/Varianzen angeht; beispielsweise, wenn aus einer Sprache mit einem kulturell anderen, nicht-binärem Gendersystem übersetzt wird, wie das Hijra Gender auf Hindi oder die nichtbinären Gender Calalai, Calabai und Bissu auf Bugis [4]. Die Genderbiases von NMT-Übersetzungen lassen sich in diesem Beispiel daran ablesen, welches Gender in der Übersetzung in binärgeschlechtliche Sprachsysteme, wie z. B. Deutsch, von Übersetzungs-KI als Norm angenommen wird [5].In einer Humanübersetzung kann mit Mehrdeutigkeiten sowie kulturellen und sprachlichen Unterschieden flexibler umgegangen werden. Aus diesem Grund kann ein Original ohne Urheberrechtsverletzung von verschiedenen Übersetzungskollektiven veröffentlicht werden: Jede Übersetzung kann eine andere Facette eines Textverständnisses aufzeigen, verschiedene Lesarten und Prioritätensetzungen von Übersetzer:innen zeigen. Diese Form des Textverständnisses sei gleichzeitig eine Form der kulturellen Vermittlung: Es gehe bei einer Übersetzung meist nicht nur um Originaltreue, sondern auch darum, den Text so zu rearrangieren, dass Informationen, die zwischen den Zeilen liegen, trotzdem an das anderssprachige, anders kulturell geprägte Publikum vermittelt werden können. Übersetzung sei demnach nicht nur eine zweckgebundene Tätigkeit, sondern auch eine menschliche Kulturtechnik der interkulturellen menschlichen Begegnung über Text, die es zu erhalten gelte, anstatt an KI ausgelagert zu werden [6].

Ein Vorteil im Einsatz von KI bei Übersetzungen hingegen wird oftmals in der Datenverarbeitungskapazität der Systeme gesehen: So könne die Software weniger komplexe Absätze übersetzen oder einen groben Entwurf erstellen, während sich Übersetzer:innen dem Feinschliff oder den schwierig übersetzbaren Passagen widmen könnten. Dies könnte zu einer Entlastung von Übersetzer:innen führen. Inzwischen wurden jedoch verschiedene Texte von KI übersetzt, die von Übersetzer:innen bearbeitet wurden, die angaben, dass diese Überarbeitung mehr Mühe gemacht habe, als eine eigene Übersetzung zu schreiben [7].

Laut Cullen gestatte NMT hingegen auch die Übersetzung von Sprachen, die zuvor nie übersetzt wurden, und könne dabei helfen, eine Sprache zu erlernen. In der Zusammenarbeit als Lernwerkzeug könne es so einen besseren Zugang zu Literatur und Sprache ermöglichen  [8].

Machine-Learning-Software ist zudem sehr gut im Zählen und Kategorisieren von Wörtern und in umfassenden Suchläufen nach String Matches [9], wodurch Stil-Entscheidungen von weniger erfahrenen Übersetzer:innen einfacher aufgespürt werden könnten. Literarische Übersetzer:innen können bei ihrer Arbeit dadurch zumindest halbautomatisch unterstützt werden, wohingegen eine vollautomatische Übersetzung für eine adäquate Vermittlung eines Originalwerkes derzeit keinen Ersatz für die Arbeit von literarischen Übersetzer:innen darstellt.

Einzelnachweise

1 Vgl. Alana Cullen: Wie „arbeitet“ künstliche Intelligenz in literarischer Übersetzung: Neural Machine Translation verstehen. In: Goethe Institut Vereinigtes Königreich (2022). https://www.goethe.de/ins/gb/de/kul/lue/ail/21967556.html

2 Vivien Macketanz, Eleftherios Avramidis, Aljoscha Burchardt, Hans Uszkoreit: Fine-grained evaluation of German-English Machine Translation based on a Test Suite. In: Proceedings of the Third Conference on Machine Translation: Shared Task Papers.Brüssel: Association for Computational Linguistics (2018). https://aclanthology.org/W18-6436/ (06.05.2025). S. 578–587.

3 Arthur Goldhammer: The Perils of Machine Translation. In: The Wire (2016). https://thewire.in/tech/machine-translation (06.05.2024).

4 The Editors of Encyclopaedia Britannica: 6 Cultures That Recognize More than Two Genders. In: Encyclopedia Britannica (2023) https://www.britannica.com/list/6-cultures-that-recognize-more-than-two-genders. (20.05. 2024).

5 Alexandra Kravariti: Machine Translation: NMT translates literature with 25% flawless rate. In: Translate Plus (2018). https://www.translateplus.com/blog/machine-translation-nmt-translates-literature-25-flawless-rate/ (06.05.2024).

6 VdÜ / A*ds / IGÜ: Offener Brief zur KI-Verordnung (2024) https://literaturuebersetzer.de/site/assets/files/8902/offener_brief_ki.pdf (22.05.2024).

7 Vgl. Miriam Neidhardt: Kann man ein Buch mit DeepL übersetzen? In: Neidhardt Übersetzungen (2022). https://www.miriam-neidhardt.de/2022/07/29/uebersetzung-eines-romans-mit-deepl-ein-selbstversuch/ (22.05.2024)

8 Kumar Prachi: An Introduction to N-grams: What Are They and Why Do We Need Them? In: XRDS (2018). https://blog.xrds.acm.org/2017/10/introduction-n-grams-need/ (06.05.2024).

9 Vgl. Alana Cullen:Wie „arbeitet“ künstliche Intelligenz in literarischer Übersetzung: Neural Machine Translation verstehen. In: Goethe Institut Vereinigtes Königreich (2022)

https://www.goethe.de/ins/gb/de/kul/lue/ail/21967556.html

Autorin
Text: Ariane Siebel
Lektorat: Jenifer Becker

Zitation
Ariane Siebel: Vor- und Nachteile KI-gestützter Programme. In: AI-Labkit. 2024. https://ai-labkit.de/lernen/?post=vor-und-nachteile-ki-gest%C3%BCtzter-programme

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