logo

Blog

Hier findest du Interviews, Essays und literarische & künstlerische Arbeiten rund ums Thema KI.

KI als Hilfsinstrument – im Gespräch mit Simon Lörsch

Angesichts rasanter Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz stellt sich auch für Literaturverlage die Frage, wie diese Systeme aktuell oder auch zukünftig eingesetzt werden können. Ich habe ein Interview mit Simon Lörsch, Lektor für internationale Literatur beim Suhrkamp Verlag, geführt, in dem wir Fragen zum Thema „KI im Lektorat/Verlag“ nachgegangen sind. Er hat mich vorab informiert, dass er KI bisher nur in zwei Bereichen verwendet: Zum einen für kurze Probeübersetzungen bei Texten, deren Sprache er nicht spricht. Dann fügt er Textteile in die Übersetzungssoftware DeepL ein, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Und zum anderen nutzt er manchmal bildgenerierende KIs für Vergleichscover. Auf beides gehen wir im Gespräch noch tiefer ein.

Kannst du dir vorstellen, irgendwann eine KI zum Prüfen und Analysieren von Texten zu nutzen, um die Vielzahl an eingesandten Manuskripten zu bewältigen?

Simon Lörsch: Das ist theoretisch schon möglich. Müsste man testen. Es ist ja schon so, dass die Leseeindrücke sehr idiosynkratisch sind, und wenn es um Literatur geht, ist der eigene Leseeindruck das, worauf man vertraut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass KI sowas irgendwann kann und dann sagt, mach das hier, das ist ein gutes Buch. Aber wenn es nicht viel kostet, können es durchaus Hilfsinstrumente sein, auf die man zurückgreifen kann. Dann liest man beispielsweise selber zwanzig Seiten, jagt es durch die KI und hat ein anderes Meinungsbild. Wenn es um die stilistisch-literarische Bewertung eines Textes geht, vertraut man wohl eher auf sich selbst; auf den eigenen Geschmack, auf Intuitionen, Erfahrungen. Aber es könnte zum Beispiel hilfreich sein, wenn so ein Programm Vergleichstitel vorschlägt oder anzeigt; dass das vorliegende Buch Elemente aus jenem erfolgreichen Buch mit Elementen aus einem anderen erfolgreichen Buch kombiniert. Oder wenn man sich vorstellt, dass KI die Größe eines Themas in dem jeweiligen Buch belegen könnte und dass sie dann nachweist, dass dieses oder jenes Thema so und so viel Traffic auf Social Media generiert. Dass man eine Art Meinungs- oder Marktforschungsinstrument hat, das die Themen rausgreift und sagt, wie ‚trendig‘ es gerade ist.

Jannik Schorn: Bei meinen Recherchen hatte ich den Eindruck, dass KI Lektor:innen durchaus Arbeit abnehmen könnte. Nicht nur was das Prüfen von Manuskripten anbelangt, sondern auch beim Schreiben von Vorschau- und Klappentexten. Wäre das noch ein weiterer Bereich, wo KI eingesetzt werden könnte?

Simon Lörsch: Ja, durchaus. Aber vorher nochmal zu dem ersten Aspekt. Zu einer KI, die Textarbeit macht: Ich glaube, es ist sehr schwer von textimmanenten Eigenschaften auf Erfolg- und Bestsellerstatus zu schließen. Das wird wahrscheinlich nicht gehen. Wo ich es mir vorstellen könnte, ist im Genrebereich. Es gibt ja im New Adult oder Romance-Bereich Tropen wie z.B. eine „Enemy-to-Lover-Geschichte“, und da würde sowas wahrscheinlich schon funktionieren, wenn eine KI das mit Markttrends abgleicht. Aber wenn es um Literatur geht, die von Originalität und dem Gesamteindruck eines Buches lebt, wird eine Software sowas nur schwer in den Griff bekommen. Und zum zweiten Punkt mit den Gebrauchstexten: Das kann ich mir schon gut vorstellen, dass man der KI ein Konzept oder eine Struktur oder einen Bauplan gibt, wie z.B. Zeichenanzahl, Themen oder Inhalte – ob Familie, Klasse oder Anti-Rassismus –, wo eventuell metatheoretische Aussagen getätigt werden, oder wo es eher um den Inhalt gehen soll, und dann lässt man die KI machen und geht von dem Ergebnis aus, überarbeitet und poliert. Oder im Zusammenhang mit Titeln könnte man auch auf die KI zurückgreifen; sie also fragen, wie der Titel für dieses oder jenes Buch lauten könnte. Ebenso kann man sich aber natürlich auch Bilder für Cover generieren lassen.

Jannik Schorn: Läuft das mit den Bildvorschlägen dann so ab, dass du der KI sagst, was eventuell auf dem Bild zu sehen sein soll oder worum es in dem Buch geht? Und hast du solche Vorschläge deinen Briefings für die Grafikagenturen schon beigefügt?

Simon Lörsch: Ja, das habe ich ab und an schon gemacht. Vor allem, wenn man eine bestimmte Szene aufrufen will, wie z.B. ein junges Paar auf dem Weg zum Standesamt im viktorianischen Zeitalter oder so. Dann gebe ich das so ein und wenn dabei etwas Sinnvolles herauskommt, dann füge ich das beim Briefing hinzu.

Jannik Schorn: Zum Thema Übersetzung: Die Übersetzungen von Tools wie DeepL sind natürlich sehr generisch. Wenn du dort Texte in Sprachen, die du nicht sprichst, eingibst, kannst du dann überhaupt sowas wie einen Stil oder eine eigene Sprache ausmachen? Oder anders gefragt: Inwiefern musst du bei sowas deine Lektürepraxis „anpassen“?

Simon Lörsch: Ich glaube, solche Tools sind nur ein Hilfselement. In Sprachen, die nicht so geläufig sind, gibt es kurze Probeübersetzungen der Übersetzer (z.B. 12 Seiten), bei denen man schon einen guten Eindruck über die Sprache oder den Stil gewinnt. Bezüglich DeepL: Es kommt darauf an, was man reingibt. Wenn ich z.B. ein sprachlich eher klassisches oder konventionelles Buch reingebe, dann glaube ich schon, dass ich eine stilistische Bewertung – anhand von Geschwindigkeit, Klangfarbe, Stimmung oder sowas – geben kann. Wenn man umgekehrt etwas reingibt, was auf kleinerem Raum mehr Bedeutung kreiert und gebrochener oder unkonventioneller ist, dann wird es irgendwann mit Sicherheit unleserlich und nicht mehr richtig zu bewerten sein.

Jannik Schorn: Heißt das, einen Text, von dem du vorab weißt, dass er ‚experimenteller‘ arbeitet, würdest du gar nicht erst in DeepL reingeben?Simon Lörsch: Wahrscheinlich würde ich es schon mal mit DeepL probieren, aber dann relativ schnell merken, dass es nicht funktioniert.Jannik Schorn: Kennst du Übersetzer:innen, die mit Übersetzungssoftware arbeiten oder experimentieren?

Simon Lörsch: Nein. Das würde vermutlich auch niemand sagen. Wir befinden uns gerade, was die Tätigkeit des Übersetzens anbelangt, in einer Art Bedrohungslage, wo Übersetzer fürchten, ersetzt zu werden. Das muss man wirklich so sagen. Also nicht so sehr literarische Übersetzer, aber Übersetzer von Sachbüchern etc. Da gibt es schon ein aktivistisches Moment, wo gesagt wird: „Uns kann man nicht ersetzen.“ Um aber nochmal auf das Lektorieren zurückzukommen: Ich kann mir auch vorstellen, dass man irgendwann zu KIs übergeht, die stilistische Fehler aufspüren, so wie, wenn man z.B. nach Wortwiederholungen sucht. Da könnte man sich vermutlich noch klügere Werkzeuge ausdenken. Spontan kommt mir so etwas in den Sinn wie das Anzeigen von Wortwurzeln oder -stämmen. Oder KI könnte auch eine Art syntaktische Analyse durchführen, bei der sie beispielsweise Stellen im Text aufspürt, wo das Syntagma über drei oder vier Sätze hinweg gleich ist, und dann Gegenvorschläge machen, wie man umstellen könnte, sodass ein bisschen mehr Rhythmus oder Musik reinkommt. Oder dass man die Autokorrekturfunktion noch etwas verbessert, sodass beim Setzen des Textes doppelte Leerzeichen oder dergleichen schneller auffallen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass ich alle Lektorate, die ich bisher durchgeführt habe, einspeisen könnte, und die KI erkennt dann, welche Verbesserungen ich häufig vorschlage – wie sozusagen mein persönlicher Lektoratsstil aussieht. Und das überträgt man dann auf einen anderen Text und leitet die KI an, vor dem Hintergrund all meiner vergangenen Lektorate mal auf diesen oder jenen Text zu blicken. Das soll nicht heißen, dass man einen Knopf drückt und auf einmal ist der Text besser, aber auf diese Weise würde man vielleicht Dinge sichtbar machen, die vorher nicht oder nur schwer sichtbar gemacht werden konnten.

Jannik Schorn: Was ich neben den Aspekten des Lektorats bei dir raushöre ist, dass du großes Potential für KI im Bereich der Markt-analyse oder der Marktforschung siehst; dass KI in Echtzeit große Datenmengen verarbeiten kann, die für den Verlag von Vorteil wären, wie z.B. bei Auflagengrößen. Würdest du da zustimmen?

Simon Lörsch: Ja, genau, aber nicht nur das, sondern auch, dass die KI Lücken oder unbearbeitete Themen im Markt aufspürt. Es kommt im Verlag sehr häufig vor, dass man ein Buch mit einem Thema akquirieren will, von dem man nicht weiß, wie populär es ist. Solche Nischen und Communities, solchen Traffic auf Social Media quantifizierbar zu machen, sodass wir als Lektorinnen und Lektoren sehen, dass es da Leute gibt, die dieses Buch interessieren könnte, das wäre toll.

Jannik Schorn: Abschließend noch eine letzte Frage: Wie ist deine persönliche Einschätzung, wenn es um die Zukunft von KI in Verlagen oder auch im Literaturbetrieb allgemein geht?

Simon Lörsch: Das ist schwer zu sagen. Es werden sicherlich mehr Leute mit KI experimentieren und schauen, was es ihnen bringt, aber ich denke nicht, dass es die maßgeblichen Prozesse, Kompetenzen und Entscheidungswege durcheinanderbringen oder verändern wird. Verlage sind letztlich doch sehr kleine, konservative Einheiten, die sich über ihre Mitarbeiter Kompetenzen aneignen und ästhetische Rahmen schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Verlage sowas irgendwann abgeben. So platt das auch klingen mag, ich denke, dass es am Ende immer noch um Fragen gehen wird wie: Ist das ein gutes Buch? Ist es wichtig? Usw. Dass eine KI den Verlag dann wissen lässt, dass es eine bestimmte Anzahl an interessierten Lesern gibt, das wird dann am Ende wohl nur ein weiteres Argument in der Entscheidungsfindung sein, aber nicht das einzige oder wichtigste.

Autor:innen
Interview: Jannik Schorn
Text: Jannik Schorn

Lektorat: Jonas Galm, Jenifer Becker.

Zitation: Jannik Schorn: KI als Hilfsinstrument – im Gespräch mit Simon Lörsch. In: AI-Labkit (2024) https://ai-labkit.de/blog/?post=ki-als-hilfsinstrument-im-gespr%C3%A4ch-mit-simon-l%C3%B6rsch

Vorheriger Beitrag
4 / 18
Nächster Beitrag