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Hier findest du Einführungsmaterial zum literarischen Schreiben mit KI. Die Artikel geben einen theoretischen Überblick über verschiedene Themenfelder und führen an Fragestellungen und Kontexte heran.

Was ist KI-Prosa?

Verstehen wir unter Prosa (https://ai-labkit.de/lernen/?post=was-ist-prosa) erzählerische Texte, rücken damit KI-generierte literarische Werke ins Licht, die einer erzählerischen Form folgen und eine Geschichte erzählen. Auch hier greift die Überlegung, dass es genauso wenig eine einheitlich definierte Form von KI-Prosa geben kann, wie einheitliche KI-Literatur [1]. Stattdessen erscheint KI-generierte Prosa genauso vielfältig wie Prosa, die nicht mit KI geschrieben wird, beispielsweise in Form KI-generierter Gute-Nacht-Geschichten (Kamil Banc: Bedtime Stories), Krimis (Aidan Marchine: Death of an Author), trashiger Science-Fiction (Frank White: Galactic Pimp: Volume 1) oder TikTok-Romanzen (K Allado-McDowell: Armor Cringe). Die Texte werden durch bestimmte Merkmale vereint, die in der Narratologie als Minimaldefinition für Erzählungen gelten: Zentrale Parameter erzählender Literatur sind, so die Narratologin Monika Fludernik, “eine oder mehrere Erzählfiguren anthropomorpher Prägung [...], die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht existenziell verankert sind und (zumeist) zielgerichtete Handlungen ausführen (Handlungs- und Plotstruktur)” [2]. Zentrales Merkmal erzählerischer Texte ist darüber hinaus Kohärenz.

KI-generierte Geschichten entstehen zunächst in computerlinguistischen Laboren. Ihren Anfang nimmt die Genese erzählerischer Literatur mit sog. Erzählmaschinen (Story Machines), die Geschichten auf Grundlage formaler linguistischer Methoden generieren. Beispielsweise auf Grundlage von Erzählgrammatiken. In den 1960er Jahren arbeitete der Linguist und Professor für Computerwissenschaften Sheldon Klein an einem Programm zur automatisierten Roman-Genese (Automatic Novel Writer) [3]. Anfang der 1970er Jahre entstand ein Computerprogramm, das in der Lage war, Kurzgeschichten über einen Mordfall in einem Landhaus zu generieren. Die Kurzgeschichten hatten einen Umfang von 2.100 Wörtern, waren jedoch wenig überzeugend - ihnen fehlte Sinnhaftigkeit, Spannungsaufbau und Kohärenz. Das Team entwickelte daraufhin ein Programm, das sich auf Propps Märchengrammatik bezog und Märchen neu zusammensetzte. Es folgten weitere Forschungsprojekte die darauf abzielten, Geschichten zu generieren, beispielsweise der Plot- und Storygenerator MEXICA der Computerlinguisten Mike Sharples und Rafael Perèz y Perèz. Auch hierbei handelt es sich um  Regelausführungen durch Algorithmen, durch die Geschichten zusammengesetzt werden.

In den 2010er Jahren verbessern sich künstliche neuronale Netzwerke, die natürliche Sprache generieren und werden zunehmend zur Genese von Geschichten genutzt: “These neural networks learn by receiving many texts from the internet as input abstracting patterns of data, then following these patterns to output new text.” [4]. Hiermit wird auch der von Hannes Bajohr genannte Paradigmen-Wechsel vom sequentiellen zum konnektionistischen Literatur-Paradigma (https://ai-labkit.de/lernen/?post=was-ist-ki-literatur) markiert. Ein Durchbruch in der Genese erzählender Texte erfolgte durch die 2017 von Google etablierte Transformer-Architektur: anstatt Systeme  zu entwickeln, die lediglich die letzten Wörter bei der Informationsverarbeitung berücksichtigen, entwickelte Google eine Systemarchitektur, in der die relevanteste Wörter am stärksten gewichtet werden. Zentral wird “Attention” - Resultat ist die Transformer-Architektur [5].

Die Herstellung von Kohärenz ist eine der größten Herausforderungen in der Genese von Geschichten mithilfe von KNNs. Sprachomdelle können zunächst keine kohärenten Texte generieren. Anstatt Geschichten zu erzählen, produzieren sie surreale und experimentelle Satzabfolgen, darum eignen sie sich zunächst besser für experimentelle Literatur oder Lyrik. Als erster KI-Roman wird oftmals Ross Goodwins 1 the Road (2018) kanonisiert. Jedoch handelt es sich bei dem Roman nicht um ein linear aufgebautes Epos mit Figuren, sondern auch hier um eine experimentelle Zusammenführung von Beobachtungen und Statusmeldungen, die keine kohärente Erzählung ergeben - 1 the Road erzählt in diesem Sinne keine Geschichte. Dennoch stellt 1 the Road einen Durchbruch in der Genese erzählender Texte dar, da es Kohärenz auf Satzebene aufweist.

Die Fähigkeit, kohärente Textpassagen zu generieren, verbessert sich rasant: Mittlerweile haben große Sprachmodelle wie ChatGPT keine Schwierigkeiten mehr, kohärente Kurzgeschichten zu produzieren. Noch ist die Genese eines ganzen Romans mithilfe eines Prompts nicht möglich, aber auch dies scheint in KI-gestützten Schreibprogrammen, wie Sudowrite, bereits verwirklicht. Hier werden längere Erzählungen zunächst anhand von “Beats” (signifikanten Ereignissen, anhand derer die Handlung strukturiert werden kann) ausgelegt und anschließend in einen zusammenhängenden Roman überführt. Dass Sprachmodelle kohärente Geschichten generieren können liegt darin begründet, dass sich Trainingsdaten und Kontextfenster vergrößert haben [6].

Eine erhöhte Zirkulation KI-generierter Prosa lässt sich unmittelbar mit der Veröffentlichung des Sprachmodells ChatGPT durch OpenAI im November 2022 in Verbindung bringen. Vor ChatGPT und nach ChatGPT erscheint in diesem Zusammenhang als literaturhistorischer Marker für eine signifikante Veränderung in Bezug auf das Vorkommen und die Popularisierung KI-generierter Geschichten (https://ai-labkit.de/lernen/?post=eine-kurze-geschichte-der-ki-literatur). Autor:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen heben hervor, dass das größte Potenzial in der Herstellung literarischer Werke in der Kollaboration mit Sprachmodellen liegt – eine autonom agierende KI, die einfach so Romane produziert, gibt es gegenwärtig nicht. Gegenwärtig wird KI-Prosa überwiegend in kollaborativer Arbeit mit KI geschrieben und umgesetzt. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang, welche Geschichten KI eigentlich schreibt und welcher Stil bevorzugt produziert wird. 2023 wird kritisiert, dass ChatGPT vor allem Heldenreisen schreibt und Klischees sowie abgegriffene Phrasen produziert. Positiv wird hervorgehoben, dass KI bei der Konzeptualisierung von Geschichten unterstützen kann, Produktivität und Effizienz erhöhen sowie Schreibblockaden lösen kann. Denkbar ist darüber hinaus eine Zukunft, in der gemeinsames Schreiben mit KI im Sinne eines Writers‘ Rooms [7] verstanden wird, wie beispielsweise im kollektiven Schreibprojekt Alpha Centauri in Ewigkeit.Link: https://www.fischerverlage.de/magazin/neue-rundschau/alpha-centauri-ewigkeit

Einzelnachweise
1 Wie das Label “KI” im literarischen Zusammenhang einzuordnen ist, wird in der Einführung zu KI-Literatur  diskutiert. https://ai-labkit.de/lernen/?post=was-ist-ki-literatur.
2 Monika Fludernik: Einführung in die Erzähltheorie. Darmstadt: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2006. S. 15.
3 Mike Sharples u. Rafael Pérez y Pérez: Story Machines – How Computers Have Become Creative Writers. London [u.a.]: Routledge 2022. S. 45ff.
4 Ebenda, S. 69.
5 Ashish Vaswani, Noam Shazeer, Niki Parmar, Jakob Uszkoreit, Llion Jones, Aidan N. Gomez, Lukasz Kaiser, Illia Polosukhin: Attention is all you need. In: Advances in Neural Information Processing Systems (2017). S. 5998–6008. 
6 Gwern Branwen: GPT-3 Creative Fiction. Small Context Window.  https://gwern.net/gpt-3#small-context-window (18.05.24).
7 Writers’ Room ist ein Begriff, der aus der US-amerikanischen Serienkultur stammt und im wörtlichen Sinne einen Raum meint, in dem verschiedene Autor:innen zusammenkommen, um beispielsweise eine Serie oder einen Film zu schreiben. Im weiteren Sinne sind damit kreative Arbeitsverfahren gemeint, bei denen im Kollektiv gearbeitet und verschiedene Arbeitsschritte delegiert oder in gemeinsamer Arbeit ausgeführt werden.

Autor:innen
Text: Jenifer Becker
Lektorat: Jonas Galm, Ariane Siebel
Zitation: Jenifer Becker: Was ist KI-Prosa? In: AI-Labkit (2024). https://ai-labkit.de/lernen/?post=was-ist-ki-prosa

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