logo

Lernen

Hier findest du Einführungsmaterial zum literarischen Schreiben mit KI. Die Artikel geben einen theoretischen Überblick über verschiedene Themenfelder und führen an Fragestellungen und Kontexte heran.

Kontext: Das Zeitalter von KI?

Seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 stehen große Sprachmodelle exemplarisch für eine gesamtgesellschaftliche Umwälzung, die auch als „Zeitalter von KI“[1] betitelt wird. Lernfähige Systeme werden stärker in unser Umfeld integriert und stehen für eine neue Generation der Digitalisierung, die unsere Lebensrealität weiter transformiert. Gesprochen wird in diesem Zusammenhang über mögliche Veränderungen unserer Wirtschafts- und Arbeitswelt, Kommunikationsweisen, Informationsverbreitung- und -verarbeitung, aber auch über eine großflächige Umwälzung von Alltagspraktiken, in denen (textende) KI nicht nur Schreib- und Bildungsprozesse, sondern auch unsere sozialen Beziehungen verändern wird.

Als problematisch betrachtet werden im Zusammenhang mit KI insbesondere Biases [2] (z. B. Rassismen, Diskriminierungen, Gender-Stereotypisierungen), Monopolisierungen (z. B. die gegenwärtige Popularität von ChatGPT im westlichen Sprach- und Wirtschaftsraum), Urheberrechtsverletzungen oder ökologische Faktoren, so verbrauchen die Systeme zunehmend Ressourcen[3]. Kreativschaffende blicken zudem mit Sorge einer Zukunft entgegen, in der KI bildnerische und textende Tätigkeiten übernehmen könnte und Effizienzsteigerungen zwangsläufig notwendig werden, um auf dem Markt bestehen zu können. KI kann umgekehrt auch positive Effekte auf unsere Gesellschaft haben. Chancen werden vor allem in folgenden Bereichen gesehen: im Gesundheitssystem (z. B. in der verbesserten medizinischen Datenauswertung), als Werkzeug im Einsatz gegen den Klimawandel (z. B. durch exakte Voraussagen mithilfe KI-gestützter Datenauswertung), zur Verbesserung von Bildungsprozessen (z. B. durch eine individuelle Lernbegleitung durch Text-Feedback)[4]. Als Chancenträger erscheint Künstliche Intelligenz insbesondere aufgrund gesteigerter und optimierter Datenverarbeitungsfähigkeiten. Dies hat umgekehrt zur Folge, dass auch eine fortschreitende (digitale) Überwachung prognostiziert wird und sich damit auch Abhängigkeiten von (Tech-)Unternehmen weiter verstärken könnten [5].

Auch der Literaturbetrieb ist von der großflächigen Verbreitung generativer KI betroffen. Ebenso Berufsfelder, in denen Schreiben zentraler Teil der Arbeit ist, wie beispielsweise im Journalismus, im Marketing oder der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Mithilfe von generativer KI lassen sich innerhalb kürzester Zeit große Textmengen produzieren. Durch die Automatisierung von Schreiben verändern sich Schreibprozesse, beispielsweise durch die Implementierung von KI in Schreibprogrammen. Wir können davon ausgehen, dass immer mehr Texte mit KI geschrieben werden, ein Trend, der sich bereits beobachten lässt, beispielsweise anhand der journalistischen Nutzung von KI [6]. Seit dem Release von ChatGPT (November 2022) pluralisieren sich in diesem Zusammenhang auch literarische Texte, die mit KI generiert und online publiziert werden. Der niedrigschwellige Zugang zu natürlichsprachlicher Textgenese scheint hyperproduktives Schreiben für alle zu versprechen: Auf YouTube kursieren Tutorials, in denen die Herstellung eines vermeintlich publikationsfertigen Buchs mit ChatGPT auf einen Freitagabend heruntergebrochen wird. Die Konzeption literarischer Werke wird in diesem Zusammenhang verstärkt aus einer Marktperspektive gedacht, die sich zum Ziel setzt, Profit zu maximieren: Welche Themen lassen sich profitabel an welches Zielpublikum verkaufen?  Diskutiert werden unter diesem Aspekt Funktion und Qualität literarischer Texte sowie ethische Implikationen. Ebenso, wie und ob KI menschliche Kreativität infrage stellt; und damit auch Schreiben als vermeintlich genuin-menschliche Tätigkeit.

Als Maschinen, die Text produzieren und in Umlauf bringen, rücken große Sprachmodelle auch in den Blick der Literaturwissenschaften und der Schreibprozessforschung. Am Literaturinstitut Hildesheim interessieren wir uns für die literarischen Potenziale und Limitationen von Sprachmodellen, ebenso dafür, wie schreibende KI den Literaturbetrieb und schriftstellerische Arbeit verändert oder verändern kann. Darüber hinaus werfen wir einen kritischen Blick auf die literarische Nutzung der Modelle, beispielsweise darauf, wie und ob KI das Potenzial hat, Erzähl- und Sprachkonventionen zu beeinflussen, oder welche Auswirkungen die exponentiell ansteigende Flut an KI-Texten auf den Literaturbetrieb hat.

Einzelnachweise

1 Henry A. Kissinger, Eric Schmidt u. Daniel Huttenlocher: The Age of AI: And Our Human Future. Boston: Little, Brown and Company 2021.

2 Aylin Caliskan, Joanna J. Bryson u. Arvind Narayanan: Semantics derived automatically from language corpora contain human-like biases. In: Science 356 (2017). S. 183-186.

3 Produktionsbedingungen und ökologische Auswirkungen behandelt beispielsweise Kate Crawford in ihrem Buch Atlas of AI (Kate Crawford: Atlas of AI. New Haven: Yale University Press 2021). Wissenschaftlich erforscht werden darüber hinaus KI-Systeme hinsichtlich ihres Stromverbrauchs. Z. B.: Karen Hao: Training a single AI model can emit as much carbon as five cars in their lifetimes. In: Technology Review (2019). https://www.technologyreview.com/2019/06/06/239031/training-a-single-ai-model-can-emit-as-much-carbon-as-five-cars-in-their-lifetimes/?utm_source=substack&utm_medium=email (19.12.23); Alexandra Sasha Luccioni, Sylvain Viguier u. Anne-Laure Ligozat: Estimating the Carbon Footprint of Bloom, A 176B Parameter Language Model. In: arXiv (2023). https://arxiv.org/pdf/2211.02001.pdf?utm_source=substack&utm_medium=email (19.12.23).

4 Wissenschaftliche Studien existieren zu spezifischen Teilbereichen, wie beispielsweise die Verbesserung radiologischer Diagnostik durch KI und Machine Learning. Über grundlegende positive Veränderungen unserer Gesellschaft durch KI wird insbesondere online diskutiert, als progressive Positionen erscheinen v.a. Medien, die technikzugewandt sind oder Blogs bzw. Firmen-Websites, die im Ethos eines Technik-Entrepreneurialships argumentieren. Z. B.: Harmonic. Recruitung for Accountancy & Finance: The Positive Impact of AI on Society. In: Harmonic (2022). https://harmonicfinance.com/insight/the-positive-impact-of-ai-on-society/ (22.12.23); Kara Martin: The Positive Impact of Artificial Intelligence: The Non-Scary Side of AI. In: Naviant (2023). https://naviant.com/blog/artificial-intelligence-positive-impact/ (22.12.23).

5 Shoshana Zuboff setzt sich anhand des Begriffs “surveillance capitalism” (Überwachungskapitalismus) mit der Vermarktung persönlicher Daten durch Unternehmen auseinander. Shoshanna Zuboff: The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. New York: PublicAffairs 2019.

6 Mittlerweile legen Zeitungen offen, wie und in welchem Umfang sie KI nutzen (z. B.: Adrian Kreye: Die rote Linie. In: Süddeutsche Zeitung (2023). Wie die SZ künstliche Intelligenz nutzt. https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kolumne/kuenstliche-intelligenz-ki-e903507/ (17.01.24)). Hinweise zur Nutzung von KI durch Journalist:innen sowie  journalistische Institutionen bietet auch der JournalismAI Report, der 2019 aus dem Projekt POLIS (London School of Economics and Political Science in Kollaboration mit der Google News Initiative) herausgegeben wurde. Charlie Beckett: New powers, new responisibilities. A global survey of journalism and artificial intelligence. https://drive.google.com/file/d/1utmAMCmd4rfJHrUfLLfSJ-clpFTjyef1/vieW (17.01.2024).

Autor:innen

Text: Jenifer Becker

Lektorat: Jonas Galm, Ariane Siebel

Zitation:

www.ai-labkit.xyz/Kontext
Vorheriger Beitrag
21 / 22
Nächster Beitrag