KI-Literatur aus literatur- und medienwissenschaftlicher Sicht
In den Literatur- und Medienwissenschaften werden Schreibpraktiken mit künstlichen neuronalen Netzwerken an der Schnittstelle von generativer und digitaler Literatur diskutiert. Die Literaturwissenschaftlerin Stephanie Catani weist darauf hin, dass generative Kunst nicht zwangsläufig digitale Praktiken beinhalte, sich “im Gegenwartsdiskurs aber meistens auf computer-basierte Prozesse als Grundlage einer künstlerischen Produktivität [bezieht].”[1] Grundlegende künstlerische Positionen verortet Catani in diesem Zusammenhang in der Konzeptkunst der 1960er Jahre (z. B. Max Bense, Georg Nees, Frieder Nakes). Generative Literatur arbeite – so Catani – codegesteuert. Von Interesse sei nicht der abgeschlossene Text, “sondern der gesamte Generierungsprozess – mithin das Konzept, das den Weg von der Idee über das Projektdesign zum generierten Text beinhaltet.” [2] In diesem Zusammenhang wird auch von Computational, Electronic oder Digital Literature gesprochen, deren poetologische Tradition sich mitunter bis hin zu mittelalterlichen Schreibapparaturen zurückverfolgen lässt [3].
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Literatur bzw. Text digital zu generieren, individuelle Verfahrensweisen einzelner Autor:innen und Künstler:innen variieren stark und beinhalten meist konzeptuelle Zugriffe. Um digitale Schreibpraktiken klarer zu verorten, schlägt der Autor und Medienwissenschaftler Hannes Bajohr eine medientechnologische Unterscheidung vor: Er fasst die Produktionsweisen nach dichotomen Paradigmen zusammen: „Das sequentielle Paradigma der generativen Literatur […] arbeitet mit linearen Algorithmen, das konnektionistische Paradigma […] basiert auf neuronalen Netzen.“ [4] Sequentiell heißt hierbei Texte durch eine Abfolge von Regelschritten zu erstellen, beispielsweise kann ein Code geschrieben werden, der Text auf eine spezifische Weise sortiert, etwa nach gleichen Satzanfängen. Schreiben im Sinne des konnektionistischen Paradigmas heißt demgegenüber, mit künstlichen neuronalen Netzwerken, die natürliche Sprache generieren (Natural Language Processing) zu schreiben – dementsprechend mit einer BlackBox, die Text auf eine nicht direkt nachvollziehbare Weise generiert, und allgemeinhin als KI bezeichnet wird (vgl. Bajohr 2021) [5].
Einzelnachweise
1 Stephanie Catani: Generative Literatur: Von analogen Romanmaschinen zu KI-basierter Textproduktion. In: ders. (Hrsg.): Generative Literatur: Von analogen Romanmaschinen zu KI-basierter Textproduktion. Berlin [u.a.]: De Gruyter 2023. S. 153.
2 Ebenda. S. 153.
3 Zur Definition von elektronischer oder computergestützter Literatur siehe: Katherine Hayles: Electronic Literature: New Horizons for the Literary. Notre Dame: University of Notre Dame Press 2009; Scott Rettberg: Electronic Literature. Cambridge: Polity Press 2019; Philipp Schönthaler: Die Automatisierung des Schreibens und Gegenprogramme der Literatur. Berlin: Matthes & Seitz 2022; Hannes Bajohr: Schreibenlassen – Texte zur Literatur im Digitalen. Berlin: August Verlag 2022.
4 Hannes Bajohr: Algorithmic Empathy – On Two Paradigms of Digital Generative Literature and the Need for a Critique for AI Works. In: Media Culture and Cultural Techniques 004 (2020). S. 8.
5 Hannes Bajohr: Künstliche Intelligenz und digitale Literatur. Theorie und Praxis konnektionistischen Schreibens. In: Ders. u. Annette Gilbert (Hg.) Digitale Literatur II. München: Edition text + Kritik 2021. S. 174-185.
Autor:innen
Text: Jenifer Becker
Lektorat: Jonas Galm, Ariane Siebel
Zitation:Jenifer Becker: Kontext: KI-Literatur aus literatur- und medienwissenschaftlicher Sicht. In: AI-Labkit (2024) https://ai-labkit.de/lernen/?post=ki-literatur-aus-literatur-und-medienwissenschaftlicher-sicht