Konnektionistische Übungen: Digitales Co-Writing?
Große Sprachmodelle erzeugen nach Hannes Bajohr konnektionistische Texte, generieren also sprachlich stringente, zumeist sinnerzeugende Texte. Andere Programme funktionieren sequenziell, mögliche Übungen dazu sind bei Sequenzielle Übungen: Baukastenlyrik Selbermachenlassen? [https://ai-labkit.de/schreiben/?post=sequenzielle-%C3%9Cbungen-baukastenlyrik-selbermachenlassen] gelistet.
Hier geht es um konnektionistische Ansätze, also eine Art Co-Writing mit KI-Programmen, die menschliche Sprache imitieren.
1 Du kannst die Large Language Models durch einfache Aufforderung bitten, dir Starthilfen für dein Schreiben zu geben: lass dir von ChatGPT oder LLaMA ein Gedicht nach bestimmten Kriterien generieren. Der Prompt könnte zum Beispiel sein:
Schreib mir ein trauriges Gedicht über Umzüge, in dem ein Pferd vorkommt.
Die kursiven Begriffe kannst du beliebig ersetzen und ergänzen, also etwa:
Schreib mir ein erschöpftes Gedicht über Quallen im Stil von Mascha Kaléko, das mit dem Blick aus einer Raumstation endet.
Mit den Ergebnissen kannst du selbst weiterschreiben: was interessiert dich am generierten Gedicht? Ist es fertig oder fehlt noch etwas? Möchtest du es kürzen? Verändern? Den Prompt verfeinern? Das Gedicht gehört dir – du kannst auch aus jeder Zeile die Anfangszeile eines eigenen Gedichtes für einen ganzen Zyklus verwenden.
Noch ist davon auszugehen, dass die meisten großen Sprachmodelle nicht jede beliebige (lebende) Schriftsteller:in imitieren können. Shakespeare fällt den meisten Modellen wahrscheinlich leichter als Angélica Freitas. Falls du mit solchen im Stil von-prompts arbeiten willst, achte trotzdem darauf, das Ergebnis entsprechend zu markieren, wenn du es öffentlich teilst. Du kannst natürlich auch Gedichte aus der Sicht der britischen Queen oder fiktiver Charaktere wie Bernd Stromberg, Elmo oder der Maus aus der Sendung mit der Maus erzeugen.
2 Du kannst das LLM auch bitten, zwei bestehende Texte miteinander zu vermischen. Dabei kann, je nach Prompt, eine Symbiose entstehen: eine dritte Möglichkeit zwischen den vorhandenen Textperspektiven. Oder du gibst einen einzelnen Text in das Programm und bittest es, das Gegenteil des von dir eingereichten Gedichtes zu produzieren. Was ist zum Beispiel das Gegenteil des berühmten Sonett-Auftakts Shall I compare thee to a summer’s day? oder des Schlaflieds Der Mond ist aufgegangen / die goldnen Sternlein prangen / am Himmel hell und klar? Bloß, dass sie es nicht tun? Oder ist das Gegenteil eines aufgegangenen Mondes die untergegangene Sonne? Ist das nicht dasselbe? Was meint die KI dazu?
3 Viele Gedichte funktionieren über Klang: am Klang erkennt man die eigene Lieblingsdichter:in meist wieder. Du kannst das Sprachmodell um eine konsistente Reihe von Gedichttiteln, Anfangszeilen oder einfach um das Gesamtwerk einer fiktiven Person bitten, und dann selbst im möglichen Stil dieser Figur die Gedichte zu Ende schreiben. Ein Beispiel: die sudanesische Dichterin Ina Nour Inama (die im Prompt genannt wurde) hat die Bände Schatten über dem Nil, Flüsternde Winde, Lieder des Widerstandes und Echoes Of The Desert veröffentlicht (das sind die Outputs von ChatGPT). Aus dieser Lüge lässt sich eine Geschichte weben, oder aber die Gedichtbände werden doch noch geschrieben. Du kannst das Programm in einem zweiten Schritt nach einem Beispielgedicht oder häufigen Motiven der Dichter:in fragen, nach weiteren Facetten und anders gelagerten Beispielen. Um brauchbare Ergebnisse zu erzeugen, musst du vielleicht ein bisschen rumprobieren und vier, fünf oder mehr aufeinanderfolgende Prompts formulieren.
4 Du kannst die KI auch als Lektor:in einsetzen und bitten, ein von dir geschriebenes Gedicht mit Anmerkungen zu Stil, Inhalt, Tradition usw. zu versehen. Die KI kann dir auch alternative Stoßrichtungen für dein Gedicht aufzeigen, den Rhythmus verändern oder den Anfang, das Ende oder einige Motive austauschen.
5 Du kannst die KI Fließtext oder andere Textformen (auch Packungsbeilagen, Impressumsangaben, AGB oder wütende Internet-Kommentare) in Lyrik übersetzen lassen. Oder du bittest das Programm, eine einzelne vorgegebene Zeile als Anfangszeile für ein Gedicht zu verwenden, und arbeitest wiederum mit dem Ergebnis oder Auszügen daraus.
6 Eine einfache Möglichkeit ist, Sprachprogramme explizit um maßgeschneiderte Inspiration zu bitten: was interessiert dich, welche Lyrik liest du gerne, welche nicht? Welche Themen schlägt die KI dir aufgrund dieser Informationen vor? Welche Dichter:innen empfiehlt sie anhand der von dir bereisten Orte oder deiner Lieblingstiere und -farben? Wenn du eine bekannte Dichter:in wärst, wie würden deine berühmtesten Zeilen lauten? Gib der KI also ein paar Informationen und bitte sie, diese zu vervollständigen.
7 Der vielleicht einfachste Weg, mit KI Lyrik zu erzeugen, ist möglicherweise, ihre Ergebnisse nach Fehlern, Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten zu durchforsten. Das wird mit der Optimierung der Modelle immer schwieriger, kann aber durch eine zu komplexe (oder ungenaue) Fragestellung bewusst erreicht werden. Oder die schlichte Bitte, ein wenig Unsinn in die Antworten einzustreuen. Viel früher fündig wird man aber etwa bei mehrfach übersetzten und rückübersetzten Texten, im Autokorrektur-Programm von Messengerdiensten und bei (noch) unterentwickelten KI-Assistenz-Modellen, wie sie derzeit auf einigen Websites auftauchen – oder in den Kommentarspalten von Instagram und YouTube, wo Chatbots immer kreativer und origineller, aber nicht unbedingt glaubwürdiger in ihrer Ansprache werden. Collagenhafte Lyrik, die solche noch nicht perfektionierten KI-Texte dokumentiert, kann als KI-Lyrik im selteneren, zweiten Wortsinn – als Lyrik, die sich zum Themenfeld KI kommentierend, reflexiv verhält – gelesen werden.
8 Gerade für klangintensive Lyrik, die dadaistisch wirkt oder mit Lautmalereien arbeitet, bietet sich die Unterstützung durch KI-Sprachprogramme an. Auch andere Brainstorming-Situationen können mithilfe von KI imitiert und beschleunigt werden, etwa die gemeinsame Suche nach Synonymen oder alternativen Formulierungen.
Autor:innen
Text: Jonas Galm
Zitation: Jonas Galm: Titel Übung. In: AI-Labkit https://ai-labkit.de/schreiben/?post=konnektionistische-%C3%9Cbungen-digitales-co-writing