Prosa mit KI übersetzen
Die Übersetzerin Miriam Neidhardt testete 2022 in einem Selbstversuch, ob sich mit KI schneller oder langsamer übersetzen lässt: Testobjekt war eine Kriminalroman-Reihe, das Werkzeug: DeepL. Für die Nachjustierung und das Lektorat der KI-generierten Übersetzung benötigte Neidhardt 36 Stunden länger, also eineinhalb ganze Tage mehr, als für die eigenständige Übersetzung eines vollständigen Romans ohne KI.
Neidhardts Versuch fand vor ChatGPT statt, zeigt aber Schwachstellen auf, die gegenwärtig immer noch diskutiert werden: Bei Übersetzungen von KI werden mitunter Fehler schneller übersehen, da Sprachstrukturen zunächst grammatikalisch korrekt aussehen. Kontexte werden falsch übersetzt und Emotionen nicht transportiert [1]. In Diskussionen um die Rolle von KI beim Übersetzen wird zwischen dem Grad an menschlicher Involviertheit, die die Übersetzung von Literatur erfordert, und vermeintlichen Vorteilen von auf Statistik basierenden Sprachleistungen der KI abgewogen. Neidhardt führt das schlechte Ergebnis von DeepL mitunter auf den Umstand zurück, dass sie sich als Übersetzerin jeden Satz einzeln anschauen musste, anstatt sich einer gesamten Szene widmen zu können, wodurch sich in der Übersetzung kein Flow-Zustand einstellte [2].
Neidhardts Beobachtungen werden von vielen Übersetzer:innen unterstützt. Nichtsdestotrotz wird darüber nachgedacht, wie KI Übersetzungsarbeit im literarischen Bereich vereinfachen oder erleichtern könnte. Denkbar ist beim Übersetzen von Prosa, wie der Einsatz von (KI-)Tools im Übersetzungsbereich bislang zeigt, ein hybrider Ansatz, der menschliche und maschinelle Leistung vereint. Obwohl der Schwerpunkt von KI-Übersetzung auf der Vermittlung von reiner Information liegt, kann KI dabei helfen, sprachliche Muster von Autor:innen zu erkennen und dadurch eine bessere Übersetzung zu gewährleisten: Ob formell geschrieben oder Umgangssprache benutzt wird, lässt sich von Übersetzer:innen leicht erkennen. Aber Aspekte des Stils, die weniger schnell bemerkt werden, wie Satzlänge, die Auswahl bestimmter Satzzeichen oder Wiederholungen, die aber dennoch einen Einfluss auf die Leseerfahrung haben, werden von Übersetzer:innen häufiger übersehen [3]. Um dabei zu helfen, sprachliche Eigenheiten zu erkennen, gibt es verschiedene Textvisualisierungsprogramme. Diese errechneten Stilaspekte können von Übersetzer:innen dann wiederum für die eigene Übersetzungsarbeit genutzt werden, aber auch um KI-übersetzten Text dahingehend zu bearbeiten.
Selbst wenn weniger Wert auf die Übersetzung von Form und Stil gelegt werden sollte, wird der Mensch auch bei allem gebraucht, wofür Erfahrungswissen benötigt ist: Kulturelle, historische und politische Bezüge oder Redewendungen. Beim Übersetzen von Prosa kommt es also darauf an, diese Parameter zu identifizieren und zu bearbeiten oder selbst zu erstellen. Übersetzerin Claudia Hamm vertritt zudem die Meinung, dass es bei der Übersetzungsarbeit vor allem in eine Einfühlung in die Erzähler:innenstimme ankäme und es dafür einer „literarischen, emotionalen, gedanklichen oder sogar biografischen Nähe zum Autor” [4] bedürfe – eine gute Übersetzung daher nicht rein rhetorische Kompetenzen erfordere. Da es um die Erzeugung eines äquivalenten Gefühlserlebnisses für Lesende zu dem im Originalwerk ginge, könne dies nicht durch eine KI-gesteuerte Übersetzung erfolgen, die sich nicht in den Menschen hineinversetzen kann.
Bislang erreichen große Sprachmodelle noch keine Glanzleistungen im Übersetzen von Kurzgeschichten, Romanen oder anderen literarischen Erzählformen. Es lässt sich festhalten, dass sich der Einsatz von KI eher für Textteile eignet, die weniger komplex sind, jedoch sollten diese immer geprüft und gegebenenfalls überarbeitet und angepasst werden.
Zudem sehen sich Übersetzer:innen durch die Implementierung von KI in Übersetzungsprozesse zunehmend in ihrer Arbeit bedroht: Der „Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V.” veröffentlichte und unterzeichnete verschiedene Positionspapiere, offene Briefe und Stellungnahmen bezüglich des Einsatzes von künstlicher Intelligenz in Kunst und Kultur. Insbesondere in einem offenen Brief vom Februar 2024 kritisierte der Verband den Einsatz von KI als eine „Technologie mit systemischem Risiko” [5] und setzte sich für eine starke Regulierung dieser ein. Insbesondere wurde der Schutz von Urheberrecht betont, ebenso Transparenz und Mitbestimmung sowie eine gezielte Förderung von Kulturarbeit gefordert. Plädiert wurde für eine gesetzlich vorgegebene KI-Kennzeichnung auf Buchcovern, um „Rahmenbedingungen für eine mündige Leserschaft” schaffen zu können [6].
Einzelnachweise
1 Vgl. Miriam Neidhardt: Kann man ein Buch mit DeepL übersetzen? In: Neidhardt Übersetzungen (2022). https://www.miriam-neidhardt.de/2022/07/29/uebersetzung-eines-romans-mit-deepl-ein-selbstversuch/ (22.05.2024)
2 Ebenda.
3 Vgl. Roy Youdale: Digitale Übersetzungs-Tools: Kann Künstliche Intelligenz eine Hilfe bei Übersetzungen sein? In: Goethe-Institut Vereinigtes Königreich (2022) https://www.goethe.de/ins/gb/de/kul/lue/ail/21967545.html (29.05.2023)
4 Claudia Hamm: Festvortrag ilb 18. Internationales Literaturfestival Berlin: Wem gehört ein übersetzter Text? Literaturübersetzer vor, bei und nach dem Übersetzen. In: VdÜ Literaturübersetzer (2018) https://literaturuebersetzer.de/aktuelles/claudia-hamm-wem-gehoert-ein-uebersetzter-text/ (29.05.2024)
5 VdÜ / A*ds / IGÜ: Offener Brief zur KI-Verordnung (2024) https://literaturuebersetzer.de/site/assets/files/8902/offener_brief_ki.pdf (22.05.2024)6 Ebenda.
6 Ebenda.
Autorin
Text: Ariane Siebel
Lektorat: Jenifer Becker
Zitation
Ariane Siebel: Prosa mit KI übersetzen. In: AI-Labkit. 2024. https://ai-labkit.de/lernen/?post=prosa-mit-ki-%C3%BCbersetzen